Interview mit Dr. Oliver König

Herr Dr. Oliver König hat Pädagogik, Soziologie und Psychologie studiert. Seine Promotion hat er in Soziologie und die Habilitation in angewandter Sozialwissenschaft erhalten. Er ist Trainer für Gruppendynamik in der Deutschen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik (DGGO), Supervisor (Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching) und Heilpraktiker-Psychotherapie. Er hat eine eigene Praxis in Supervision, Beratung und Training in Köln. Weiterhin hat er viele Publikationen in Bezug auf das Thema Gruppendynamik veröffentlicht.
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Gruppenplatz im Interview mit Dr. Oliver König

Wie sind Sie dazu gekommen im und mit dem Gruppensetting zu arbeiten?
Herr Dr. König: Meine ersten Erfahrungen machte ich während meines Studiums der Sozialwissenschaften Anfang der achtziger Jahre in einem Seminar zur Gruppendynamik, das hochschulübergreifend angeboten wurde. Das fünftägige Training war von einem gruppenpsychotherapeutischen Setting kaum zu unterscheiden, so würde ich heute sagen. Meine Begeisterung für die Gruppe entstand also durch eine intensive Erfahrung als Teilnehmer. Gruppe hatte mich aber schon vorher im Studium interessiert, es lag aber auch einfach in der Luft. Und es gab in dieser Zeit einfach viele Angebote, häufig auch methodenübergreifend.
Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Entscheidung, im damaligen Deutschen Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik In der Fachsektion Gruppendynamik die Ausbildung zum Trainer für Gruppendynamik zu machen. Dabei sammelte ich weitere Erfahrungen in der Arbeit mit Gruppen, lernte im Perspektivwechsel unterschiedlicher Gruppenrollen, zu Beginn in der Rolle des Teilnehmers, dann als Co-Leiter.
Schon bald nach Ende meiner Ausbildung bekam ich 1990 durch einen Kollegen die einmalige Chance, eine vom DAGG zertifizierte anderthalbjährige Fortbildung in der damaligen Weiterbildungsabteilung der Arbeiterwohlfahrt als verantwortlicher Leiter zu übernehmen. Die Seminare wurden von mir und einer Kollegin geleitet, dazu kamen jeweils zwei Ausbildungskandidat*innen, sodass wir in den Trainings immer zu viert waren mit jeweils zwei Trainingsgruppen, eine tolle Einübung in ein kollegiales Arbeitsmodell. Die Gruppen hatten zum Ziel die Teilnehmer*innen zu befähigen, Gruppen und Teams in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern zu leiten, hauptsächlich in den verschiedenen Feldern der sozialen Arbeit und der Erwachsenenbildung. Mit den Jahren kamen immer häufiger Teilnehmende aus wirtschaftlichen Berufen hinzu. Der Schwerpunkt der Arbeit lag nicht auf Psychotherapie, sondern es handelte sich um eine Fortbildung, die auf die Weiterentwicklung der beruflichen Rolle zielte. Die Arbeitsweisen hatten aber durchaus einen verwandten Charakter, zumal es nicht vorrangig um das Erlernen von Tools ging, sondern um Persönlichkeitsentwicklung. Die meisten der Kolleg*innen hatten damals zudem auch eine therapeutische Grundqualifikation. Auf der Suche nach einem für mich passenden therapeutischen Ansatz landete ich dann schließlich bei den Heidelberger Systemikern. Seitdem habe ich in den verschiedensten Settings mit Gruppen gearbeitet, therapeutisch und nicht-therapeutisch. Die Vorgehensweisen haben sich seitdem verändert und erweitert, sind ausdifferenzierter geworden, häufig mehr strukturiert, und haben dabei eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie die Gruppenpsychotherapie insgesamt.
Welchen Mehrwert sehen Sie in der Arbeit mit Gruppen?
Herr Dr. König: Es wird niemals langweilig.
Anders als im Einzelsetting sind es nicht zwei Personen, sondern eine Leitung und Teilnehmer*innen, die für sich gegenseitig auch Co-Therapeut*innen sind. Auf diese Weise lernt man von den Erfahrungen der anderen und erhält das Gefühl nicht alleine zu sein. Menschen reagieren unterschiedlich auf Erfahrungen und so entsteht ein buntes und vielfältiges Miteinander. Ein Prinzip von Gruppendynamik wie Gruppentherapie ist die Selbsthilfe. Leiter*innen einer Gruppe haben in diesem Setting zwar eine zentrale Funktion, sie sind aber nicht die einzigen, die eine Antwort geben. Die Teilnehmer*innen einer Gruppe sind Helfende und Hilfesuchende zugleich, und sie helfen sich selbst, indem sie den anderen helfen. Die Leitung hat die Funktion einer reflektierten und regulierenden Steuerung, die die Gruppe rahmt aber nicht zu sehr einschränkt. Der interaktionelle Ansatz ist – zumindest von der Idee her – nicht primär leiterorientiert. Die Gruppendynamik steht als Verfahren in dieser Tradition der interaktionellen und begegnungsorientierten gruppenpsychotherapeutischen Vorgehensweisen, wie sie am ehesten mit dem Namen Irvin Yalom verbunden sind.
Wann sollte man eine Gruppentherapie in Anspruch nehmen?
Herr Dr. König: Eine Gruppe hat, wie alle Vorgehensweisen, auch ihre Nachteile und ist kein Allheilmittel. Eine Gruppe hat im Unterschied zum Einzelsetting einen größeren Anteil an Unbekanntheit und Unberechenbarkeit. Es gibt Menschen, die mit zu viel Angst darauf reagieren, was dann eher kontraproduktiv ist. Teilnehmer*innen brauchen eine gewisse Ich-Stärke und ein bestimmtes Maß an Einfühlungsvermögen (siehe auch: Gruppenpsychotherapie; Lehrbuch für die Praxis; Strauß, Mattke, 2012).
Im einzeltherapeutischen Setting kann zwar eine bestimmte Fragestellung manchmal gezielter angegangen werden, sicherlich ein Grund dafür, dass sich viele Leute eher für dieses Setting entscheiden. In einer Gruppe wiederum kommen viele Erfahrungen und Biografien zusammen, dies ermöglicht einen Blick über den eigenen Tellerrand, vieles entwickelt sich dadurch schneller als im Einzelsetting. Vor allem aber erreicht Gruppe häufig eine größere emotionale und existentielle Dichte und Tiefe. Am sinnvollsten ist es sicherlich, die beiden Vorgehensweise nicht alternativ zu sehen, sondern über eine gute Kombination nachzudenken.
Wo sehen Sie die größten Chancen einer Gruppentherapie?
Herr Dr. König: Einiges habe ich schon angesprochen. Die Vielfalt der Reaktionen auf Problemstellungen und Lebenssituationen erweitert die individuellen Perspektiven. Eine Gruppe ermöglicht einen Austausch mit anderen Personen und deren schwierigen oder belastenden Lebenssituationen – ein Austausch auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch. Teilnehmer*innen einer Gruppe können sich gegenseitig die entscheidenden Anstöße oder Impulse geben. Dies gelingt in besonderer Weise durch die Multiperspektivität der Gruppe. Eine Gruppe kann sogar gute Effekte haben für Personen, die in der Gruppe „nur“ dabei sind. Sie lernen quasi schweigend von, mit und durch die anderen, lernen sich einzufühlen, fühlen sich nicht mehr alleine und erfahren Zugehörigkeit in einer Gruppe.
Wie motivieren Sie Teilnahme zur Teilnahme an einer Gruppe?
Herr Dr. König: Gute Frage, wenn diese einfach zu beantworten wäre, hätten wir nicht die Situation, dass ambulante Gruppen so wenig nachgefragt sind. Im stationären Setting ist das Gruppensetting weit verbreitet. Hier nehmen Patient*innen an der Gruppe teil, weil es meist vorgegeben ist. Die Bereitschaft an einer ambulanten Gruppe steigt sicherlich, wenn man vorab Gruppenerfahrungen gesammelt hat. Leider fehlen aber derzeit neben der Nachfrage auch Angebote für ambulante Gruppen.
Fachpersonal, wie Hausärzte und Fachärzte, aber auch Psychotherapeuten, die nicht im Gruppensetting arbeiten, müssten hier eine beratende Funktion einnehmen und den Zugang zu einer Gruppe erleichtern. Das Einzelsetting klingt häufig effizienter und das Effizienz-Denken hat uns alle ziemlich fest im Griff. Suchende haben häufig das Bedürfnis, ein Problem „abarbeiten“ zu wollen, was letztendlich keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Psychotherapie ist, egal in welchem Setting.

Empfehlungen für Ihre Kolleg*innen

  • Kenntnisse der Sozialpsychologie. Diese ist in den letzten Jahren viel zu sehr in den Hintergrund gerückt, obwohl sie eine unersetzliche Kompetenz für die Arbeit mit Gruppen darstellt.
  • Seitenwechseln - Immer mal wieder in die Teilnehmer*innen-Rolle wechseln, beispielsweise durch die Teilnahme an einem gruppendynamischen Training als einer spezifischen Form der Gruppen(selbst)erfahrung, in der man viel über sich selbst, über grundlegende Prozesse in Gruppen und über und für die Leitungsrolle lernen kann.
  • Und sicherlich ist die Supervision der eigenen Gruppenarbeit ein Herzstück der eigenen professionellen wie persönlichen Weiterentwicklung, am besten wiederum in einer Gruppe.