Interview mit Ulrike Juchmann

Ulrike Juchmann ist Psychologische Psychotherapeutin, systemische Lehrtherapeutin, Verhaltenstherapeutin und MBSR- und MBCT-Lehrerin. Als Dozentin ist sie für Ausbildungsinstitute und Organisationen tätig. Sie leitet die Akademie für Achtsamkeit in Berlin.

Gruppenplatz im Interview mit Frau Juchmann

Wie sind Sie dazu gekommen im und mit dem Gruppensetting zu arbeiten?
Frau Juchmann: Mein erster Zugang zu Gruppen entstand über die Lehre an der Uni. Ich hatte das Glück schon als Tutorin und später als Lehrbeauftragte mit Gruppen zu arbeiten und das machte mir von Beginn an Freude. Ich hatte immer das Gefühl, in der Gruppe lässt sich gut lernen, weil es unterschiedliche Perspektiven gibt. Die Fragen und Beiträge der anderen waren und sind für mich immer ein Lernfeld.
Als systemische Therapeutin arbeitete ich im Bereich der Jugendhilfe familientherapeutisch, einzeltherapeutisch und mit Gruppen. Diese Trias war ungemein hilfreich. Die Entspannungsgruppe, die ich dort durchführte, war sehr beliebt. Die jungen Menschen, die sich oft nur schwer beruhigen konnten, fühlten sich mit dem therapeutischen Angebot aus Ruhe und Bewegung wohl und sicher. Das war für mich, denke ich, schon die Vorbereitung auf meine nun langjährige Arbeit mit achtsamkeitsbasierten Gruppen.
Mit der Vermittlung von Achtsamkeit und Meditation startete ich in einer therapeutischen Wohngruppe für Mädchen mit Essstörungen. Und dieser Ansatz gewährte den Betroffenen ganz neue Möglichkeiten, mit sich, dem eigenen Körper in Kontakt zu sein und dabei die Gruppe als stärkend zu erleben. Wir haben dann auch in unserem Team begonnen zu meditieren und bemerkt, wie wir besonnener, konstruktiver und konfliktfähiger wir dadurch wurden.
Welchen Mehrwert sehen Sie in der Arbeit mit Gruppen?
Frau Juchmann: Ich möchte auf diese Frage von einer achtsamkeitsbasierten Perspektive eingehen. Im MBSR (achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung) und im MBCT (achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie bei Depressionen) ist die Gruppe ein zentraler Wirkfaktor.
Die beiden Trainings verstehen sich als Übungsweg. Das heißt in den Gruppentreffen einmal wöchentlich werden die Meditationen geübt und darüber gesprochen. Dann üben die Teilnehmenden täglich zu Hause. Die Gruppe ist für diesen Übungs- und Lernprozess motivierend, haltgebend und stützend. Durch das gemeinsame, körper- und erlebniszentrierte Üben der Meditation entsteht in der Gruppe eine Atmosphäre von Präsenz.
Achtsamkeit stärkt die Selbstwahrnehmung, die Beziehung zu sich wird bewusster und auch wohlwollender. Dies ermöglicht auch eine Öffnung in der Gruppe und eine konstruktive Kommunikation in der Gruppe. Die Teilnehmenden eines MBCT Kurses leiden unter starken Grübelneigungen, Selbstabwertungen und auch Ängsten. In der Gruppe erkennen sie, dass andere mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen. Sie fühlen sich aufgehoben und bemerken, dass depressives Erleben oder auch Ängste menschliche Erfahrungsmöglichkeiten sind, mit denen man lernen kann umzugehen. Viele fühlen sich bestärkt, entlastet und gesehen von der Gruppe.
Das hat natürlich auch damit zu tun, wie das Gruppengeschehen im MBCT gestaltet wird. Die MBCT Lehrende ist selbst eine Übende und leitet aus einer langjährigen eigenen Meditationspraxis an. In der Meditation üben wir uns darin, allem Raum zu geben und unsere eigene Reaktivität und Vermeidung kennen zu lernen. Das Kultivieren von Achtsamkeit ermöglicht es, sich der Erfahrung, den Gefühlen und Gedanken, den Körperempfindungen mit mehr Offenheit und Freundlichkeit zuzuwenden und nicht mehr auszuweichen. Das Erleben die Gruppenteilnehmenden bei sich selbst und anderen. Meditation ist wie ein in den Spiegel schauen, die Gruppe ermöglicht es, uns auch in den Erfahrungen der anderen zu spiegeln und wiederzuerkennen. Ein Klima von Akzeptanz, Freundlichkeit und Neugier entsteht – ein guter Boden für die Entwicklung von Verhaltensänderungen.
Kann Achtsamkeit grundsätzlich eine hilfreiche Haltung für Gruppentherapie sein?
Frau Juchmann: Ja durchaus. Luise Reddemann hat mal gesagt, dass jede Form der Psychotherapie Achtsamkeit benötigt.
Meine eigene Meditationspraxis hat mir geholfen, mich bewusster im Gruppensetting zu erleben. Mir wird klarer, wo ich mich herausgefordert fühle, wann ich vielleicht zu viel in die Hand nehme und kann dann damit ruhiger und bewusster umgehen. Für mich schafft das Üben von Achtsamkeit einen Raum für neue Möglichkeiten, das ist für jede Form von Gruppensetting und Gruppentherapie hilfreich.
Durch das gemeinsame Meditieren in der Gruppe entstehen Ruhe, Raum, Bewusstheit. All dies ist sehr hilfreich, um sich und die Gruppe zu erleben und etwas zu lernen. Alte Muster werden uns klarer und neue Verhaltensweisen können eher gewählt werden. Ich denke, dass viele gruppentherapeutische Settings durch Formen des Innehaltens und Meditierens bereichert werden können. Die achtsame Kommunikation, das Inquiry, ist für Gruppensettings sehr hilfreich. Der Austausch in der Gruppe wird als ein gemeinsames Erforschen verstanden. Zuhören und Sprechen entstehen aus Bewusstheit und Ruhe heraus. Dadurch wird auch der Druck gemindert, Ergebnisse abliefern zu müssen. Jeder Beitrag wird wertgeschätzt und als Gewinn gesehen.
Wie motivieren Sie Klient*innen zur Teilnahme an einer Gruppe?
Frau Juchmann: Wenn Klient*innen zu dem obligatorischen Vorgespräch für einen MBCT Kurs kommen, dann sind sie meist darauf eingestellt, in der Gruppe zu üben. Manchmal fragen sie, warum man in der Gruppe übt. Es leuchtet ihnen meist ein, dass die Gruppe motiviert, Meditation zu lernen. Viele haben auch schon versucht, anhand von Apps, Audioaufnahmen und Büchern mit dem Meditieren zu beginnen und stoßen dabei an Grenzen. Dann wünschen Sie sich eine persönliche Anleitung, die Fragen beantworten kann und Sicherheit gibt und eine Gruppe.
Manchmal beginnt jemand auch mit einem Einzeltraining und entscheidet sich erst später für eine Gruppe. Ich erlebe es, dass die Teilnehmenden sich untereinander motivieren teilzunehmen und dranzubleiben. Sie äußern wie viel leichter ihnen das Meditieren in der Gruppe fällt und wie geschützt und sicher sie sich in der Gruppe fühlen. Ein Gefühl der Verbundenheit und des Aufgehobenseins entsteht. Den Teilnehmer*innen fällt es immer wieder schwer, sich für das Üben zu Hause zu motivieren. Manchmal schreiben sich die Gruppenmitglieder zwischen den Gruppentreffen, um sich gegenseitig zum Üben zu ermutigen.
Welche Empfehlungen haben Sie für Ihre Kolleg*innen mit einem Gruppenangebot?
Frau Juchmann: Achtsamkeitsbasierte Verfahren sollten meiner Meinung nach noch mehr in die psychotherapeutische Ausbildung Eingang finden. Ich rate auch Kolleg*innen die Teilnahme an einem MBSR oder MBCT-Kurs, dann können sie es informierter und aus der eigenen Erfahrung heraus an die Klient*innen weiter empfehlen.
Hörprobe zum Thema Achtsamkeit
Literatur:
Juchmann, U. (2012): Achtsamkeit@work – eine meditative Abenteuerreise im Team. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung.
Juchmann, U (2018) Wege entstehen beim Gehen…- ein achtsamer Übungsweg durch Depression und Angst. Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung.
Kramer, G. (2009). Einsichtsdialog. Freiburg: Arbor
McCown, D.; Reibel, D. & Micozzi, M.S. (2016): Resources for Teaching Mindfulness. Springer.