Gruppenplatz im Interview mit Dr. med Thorsten Bracher

Dr. med. Thorsten Bracher ist Klinikdirektor der Vitos Kliniken für Psychosomatik in Eltville und Bad Homburg. Er ist Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie hat umfangreiche Erfahrungen im Bereich der psychosomatischen Akutklinik.
Gruppenplatz im Interview mit Dr. med. Thorsten Bracher

Herr Dr. med. Bracher, wie sind Sie dazu gekommen im und mit dem Gruppensetting zu arbeiten?

Herr Dr. med. Bracher: Ich kenne Gruppentherapien primär aus meiner Arbeit in Kliniken. Dort fand ich, dass sie oft Erstaunliches hervorbringen. Jeder Mensch hat ja ganz unterschiedliche Seiten und manchmal ist die Ebene, die Klient*innen mit sich selbst haben, eine ganz andere als die Ebene, die sie mit Anderen zeigen. Plötzlich sind Klient*innen, die in der Einzeltherapie sehr zaghaft waren, in der Gruppentherapie stark und einfühlsam. Sie erleben dann, dass sie viele Seiten in sich tragen. Seiten, die sie selber lange nicht mehr erlebt haben, weil sie inzwischen vielleicht zurückgezogen leben. Gerade wenn es uns schlecht geht, sollten wir jedoch nicht vergessen, dass Gemeinschaft uns Unterstützung bieten und neue Sichtweisen öffnen kann.

Welchen Mehrwert sehen Sie in der Arbeit mit Gruppen?

Herr Dr. med. Bracher: Durch die Vielfalt der in den Gruppen aufkommenden Themen werden bei einzelnen Gruppenteilnehmern u.U. emotionale Reaktionen ausgelöst, die erstmalig erkennen lassen, wie bedeutsam ein bestimmtes Thema für sie ist. Das könnte z.B. das Thema Trauer sein. In einer Einzeltherapie kann über den gesamten Behandlungsverlauf hinweg verborgen bleiben, dass dies ein emotional hoch besetztes Thema ist, weil es vom Patient*innen nie angesprochen wird und für den oder die Psychotherapeut*in auch kein Anlass besteht, aktiv danach zu fragen. Für Psychotherapeut*innen ist es oft sehr hilfreich zu erleben, wie ein*e Patient*in mit anderen in der Gruppe interagiert. Das interaktionelle Geschehen trägt oft entscheidend zum Verständnis des Störungsbildes der Patient*innen bei.

Wo sehen Sie die größten Chancen/Mehrwert einer Gruppentherapie?

Herr Dr. med. Bracher: Gruppen bieten gegenüber der Einzeltherapie bestimmte Vorteile. Arbeitet eine Gruppe gut zusammen, dann entwickelt sich mit der Zeit ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Gehaltenseins und der gegenseitigen Unterstützung unter den Gruppenmitgliedern. Zu erleben, dass andere ebenfalls mit Problemen zu kämpfen haben, kann sehr entlastend sein und es ist hilfreich zu erfahren, was andere getan haben, um ihre Schwierigkeiten und Konflikte zu bewältigen oder was sie sich in der Gruppe als Veränderungsansätze erarbeiten.
Wie motivieren Sie Klient*innen zur Teilnahme an einer Gruppe?
Herr Dr. med. Bracher: Ich habe Verständnis, wenn Patient*innen zunächst skeptisch gegenüber Gruppentherapie sind und den Vier-Augen-Kontakt bevorzugen. Ich erkläre ihnen dann die Vorteile der Gruppentherapie und schlage vor, dass sie einige Male testweise an der Gruppe teilnehmen sollen, ohne sich damit zu irgendetwas zu verpflichten. Meistens nehmen die Patient*innen dieses Angebot an und die meisten bleiben dann hinterher auch in der Gruppe.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Überleitung in die ambulante psychotherapeutische Versorgung gesammelt?
Herr Dr. med. Bracher: Leider ist es oft schwierig für die Patient*innen einen Therapieplatz zu finden, selbst in Gebieten, in denen es eigentlich relativ viele Psychotherapeut*innen gibt. Gruppentherapie könnte diesen Engpass mindern helfen, denn es ist nun mal zeitökonomischer, wenn eine Therapeutenstunde gleichzeitig mehreren Patient*innen zu Gute kommt. Davon abgesehen haben viele Patient*innen das Miteinander in der Klinik, die therapeutische Gemeinschaft, als hilfreich und unterstützend erlebt und entbehren dies nach der Rückkehr in den Alltag u.U. sehr. Die ambulante Gruppentherapie kann dies bei guter Gruppenkohäsion zum Teil auffangen.