Vier Grundlagen der Video-Psychotherapie

Januar 2021

Die meisten Psychotherapeut*innen haben bereits Erfahrungen mit der Videosprechstunde gesammelt und gemerkt, dass die Kommunikation über einen Bildschirm neue Anforderungen bereithält. Doch wenn man die vier wichtigsten Vorbereitungsschritte berücksichtigt, gelingt es, auch digital eine gute Klientenbeziehung aufzubauen. Der Goldstandard ist und bleibt die Therapie vor Ort oder auch Face-to-Face (F2F), doch auch online oder Camera-to-Camera (C2C) ist eine gute therapeutische Beziehung möglich.
Welche Datenschutz-Voraussetzungen geschaffen werden sollten erfahren Sie in diesem Artikel.

1. Technische Voraussetzungen schaffen

Grundvoraussetzung für die C2C-Kommunikation ist es, die richtige Technik richtig einzusetzen, da nichts störender ist, als wenn mitten in der Therapie die Verbindung abbricht. Da aber trotz bester Technik immer etwas Unerwartetes geschehen kann, empfiehlt es sich, dies vorab mit dem/der Klient*in zu besprechen und einen Plan B bei einer Verbindungsstörung zu vereinbaren. Kommunizieren Sie beispielsweise eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, über die Sie zu dieser Zeit auch erreichbar sind, damit man sich zur Problembehebung erreichen kann. Dies schafft auch ein Gefühl eines Sicherheitsnetzes.
Weiterhin kann es hilfreich sein, einen Krisen- und Notfallplan vorab auszufüllen. Dieser kann bei einer Krisensituation mit einer schlechten Verbindung dem/der Klient*in eine hilfreiche Struktur bieten. Mithilfe dieses individuellen Krisenplans können die Klient*innen einen Leitfaden in einer persönlichen Krise erhalten und/oder die Angehörigen wissen, welche Schritte durchzuführen sind. Eine Textvorlage für einen solchen Krisen- und Notfallplan finden Sie in der Therapeuten-Bibliothek von Gruppenplatz und können diesen direkt datensicher an Klient*innen/Gruppen weiterleiten.
Ergänzend können Sie unter Account-Einstellungen im Therapeuten-Login auch einen allgemeinen Notfallkontakt für alle Klient*innen hinterlegen.
Strom und Internetverbindung
Sie haben es gerade geschafft, sich mit dem Klienten über Bild und Ton zu verbinden und dann ist der Akku leer. Eine Situation, die vielleicht jeder im letzten Jahr schon erlebt hat.
  • Ladekabel immer mit Notebook/Tablet verbinden.
  • Mit einer kabelgebundenen Verbindung (Ethernet, LAN) nutzen Sie die maximale Bandbreite.
  • Im W-LAN am besten in der Nähe des Routers positionieren.
  • Bei Übertragungsschwierigkeiten, kann es helfen, die Videoübertragung kurzzeitig auszuschalten, um die Datenmenge zu reduzieren.
Akustik
  • Kopfhörer mit Mikrofon lassen Ihre Stimme klarer klingen und Sie hören Ihre/n Klient*in auch deutlicher, da störende Geräusche wie Mausklicken oder Hintergrundgeräusche besser ausgeblendet werden können.
  • Um Hall zu vermeiden, positionieren Sie schallschluckende Gegenstände, wie Vorhänge, Pflanzen, Teppiche oder auch Polstermöbel, in der Nähe.
Technische Funktionen der Software
Die verschiedenen Videodienstanbieter haben unterschiedliche technische Funktionen, die die Kommunikation und Didaktik interessant und abwechslungsreich machen.
  • Bildschirmfreigabe
  • Sie können beispielsweise ein Bild teilen oder gemeinsam in einem Dokument arbeiten.
  • Text-Chat, um Infos weiterzuleiten
  • Hierüber können Sie Artikel oder Dateien mit den Klient*innen teilen.
  • Whiteboard
  • Ein schönes Tool, um gemeinsam eine Fragestellung zu beleuchten. Beim Whiteboard können alle Teilnehmer*innen gemeinsam ein Dokument erstellen oder Sie nutzen es selber wie ein Flipchart.
  • Umfragetools
  • Hiermit bietet sich die Möglichkeit, ein anonymes Stimmungsbild einer Gruppe einzufangen.
  • Icons zur positiven Bekräftigung
  • Mit temporären Icons, wie einem Smiley oder klatschenden Händen, erhalten Sie und auch Ihre Klient*innen die Möglichkeit, die reduzierte nonverbale Kommunikation auszugleichen.
  • Bibliothek
  • Die Anbieter Webprax und Gruppenplatz bieten eine umfangreiche Bibliothek an Materialien.
  • Sie können aber auch eigene Dateien hochladen und auf einem digitalen Weg mit den Klient*innen teilen. Auf diese Weise können Hausaufgaben sicher weitergeleitet werden.
  • Breakout-Sessions
  • Zum Arbeiten in Kleingruppen: Der/die Therapeut*in kann sich als Host (Gastgeber*in) einer Gruppe zuschalten.
All diese Funktionen können jedoch nur souverän eingesetzt werden, wenn Sie sie im Vorhinein ausprobieren und genau planen, wie Sie sie in den Ablauf der Therapie einbauen wollen.
Tipp: Planen Sie vorab ein virtuelles Treffen mit der Familie oder Freunden, um Sicherheit zu gewinnen.

2. Positive Atmosphäre schaffen

Wie auch bei F2F ist es wichtig, im C2C eine ruhige, positive und konstruktive Atmosphäre zu schaffen, in der die Therapie stattfinden kann. Der eingeschränkte Blickwinkel der Kamera und auch die geringe Auflösung des Bildes stellen hierbei eine Herausforderung dar. Sonstige förderliche Faktoren, wie Wärme, Düfte oder auch Licht, liegen nicht unter Ihrer Kontrolle. Sie können aber auch Hinweise für Ihre Klient*innen zusammenstellen, wie der Ort gestaltet sein sollte, von dem aus Sie an der C2C-Therapie teilnehmen.
Hintergrund
Für eine gute Bildqualität ist ein gut ausgewählter und belichteter Hintergrund unverzichtbar. Nur so können Sie sicherstellen, dass Sie die Mimik und Gestik richtig sehen, obwohl Sie sich nicht vor Ort gegenübersitzen.
  • Ihr Hintergrund sollte einfarbig und hell sein, damit der visuelle Fokus bei Ihnen und nicht z. B. auf dem Bücherregal hinter Ihnen liegt.
  • Alternativ können Sie bei vielen Video-Anbietern auch einen virtuellen Hintergrund einstellen oder den Hintergrund verwischen.
  • Wenn es Ihnen möglich ist, bringen Sie zwischen sich und den Hintergrund einen Abstand von mindestens 1,5 Meter.
  • Achten Sie darauf, dass nichts im Hintergrund und dem gesamten Bild auftaucht, was evtl. dem Datenschutz (z. B. Fotos) oder Betriebsgeheimnissen unterliegt.
  • Für eine gute Beleuchtung setzten Sie sich nicht vor ein Fenster oder eine andere Lichtquelle, da durch den Schatten Ihre Mimik schwerer zu erkennen ist.
  • Die Lichtquelle sollte hinter Ihrer Kamera einen Platz finden zur Beleuchtung Ihres Gesichtes.
  • Insbesondere wenn Sie Brillenträger*in sind, kontrollieren Sie, ob Sie Reflexe in der Brille erkennen. Evtl. müssen Sie dann die Lampen höherstellen.
Kamera-Ausrichtung
Die Kamera sollte auf Augenhöhe sein und einen Abstand zu Ihnen von ca. 70 cm bis zu ca. 1,2 m haben. Achten Sie darauf, dass Sie nicht zu klein auf dem Display sind. Lassen Sie ein wenig Platz über dem Kopf, sodass Ihre Haare nicht angeschnitten sind. So vermeiden Sie den Eindruck des Herabschauens oder Hinaufschauens.
Kleidung
Da es gerade bei Klient*innen oft noch eine Unsicherheit gegenüber dem neuem Medium gibt, ist ein sicheres Auftreten des/der Psychotherapeut*in relevant.
Nonverbale Kommunikation ist äußerst wichtig, aber bei C2C-Kontakt stark eingeschränkt. Über den Bildschirm wird nicht der komplette Körper übertragen, sodass diese Form der Interaktion eingeschränkt wird. Auch Berührungen oder Gesten sind bei C2C nicht möglich. Beispielsweise ein wippender Fuß oder Nesteln kann häufig nicht beobachtet werden. Aus diesem Grund verändern sich Gestik- und Mimik Gewohnheiten bei der Kommunikation über die Kamera.
Gestik und Mimik
Wählen Sie reizarme Kleidung mit wenig Mustern und grellen Rottönen, um nicht von Ihrem Gesicht abzulenken. Auch wenn „nur“ der Oberkörper zu sehen ist, ziehen Sie sich Ihre persönliche Berufskleidung an. Es kann beispielsweise vorkommen, dass Sie aufstehen, um etwas zu holen und Ihre Kleidung zu sehen ist.
  • Mimik: Diese steht im C2C-Kontakt im Fokus, da fast „nur“ Ihr Gesicht zu sehen ist. Achten Sie darauf, mehr mit Mimik zu arbeiten, als Sie es bei der Therapie vor Ort gewohnt sind. Beispielsweise mit einem deutlichen Kopfnicken bestätigen Sie die Klient*innen und schenken ihnen Aufmerksamkeit.
  • Gestik: Nutzen Sie auch Gestik, die eher ungewohnt ist, wie einen Daumen hoch zur Bestätigung oder einen stillen Applaus. Diese Gestik kann vom Bild eingefangen werden. Um die Aufmerksamkeit der Klient*innen wiederzuerlangen, können Sie zum Beispiel in die Kamera winken. Durch ein Abwinken können Sie einen Stopp oder Unterbrechung signalisieren.
  • Körperhaltung: Eine aufrechte, der Kamera zugewandte Körperhaltung und der vermehrte Einsatz von Gesten transportieren Aufmerksamkeit.
  • Tipp: Kleben Sie sich einen kleinen Smiley neben die Kamera; auf diese Weise schauen Sie Ihre/n Klient*in direkt an.
  • Nutzen Sie einen Stehtisch für eine aufrechte Haltung.
Sprache
  • Nutzen Sie vermehrt Sprache als Rückmeldung, da die nonverbale Kommunikation geringer ist.
  • Ihre Sprache sollte laut genug und ruhig sein. Wie auch beim F2F-Kontakt helfen Betonung, Pausen und Rhythmus, die Aufmerksamkeit der Klient*innen zu behalten. Sprechen Sie langsamer als gewohnt.
  • Klient*innen stumm zu schalten, kann beim aktiven Sprecherwechsel gerade bei mehreren Klient*innen unterstützen. Eine aktive Moderation des Sprecherwechsels bringt mehr Struktur in die Unterhaltung und verringert das Risiko, sich ins Wort zu fallen. Sprechen Sie vorab ein Signal für eine Wortmeldung ab, beispielsweise Hand zu heben.
Videosprechstunde

3. Erholung einplanen

Für die meisten Psychotherapeut*innen ist die Therapie über ein digitales Medium eine neue Situation. Tauschen Sie sich mit Kolleg*innen zu gesammelten Erfahrungen, beispielsweise über das Gruppenplatz-Forum, aus.
Da sich viele Abläufe verändern und wahrscheinlich auch in Zukunft Teil des „neuen Normals“ sein werden, lohnt sich eine Weiterbildung zur Förderung der Online-Kompetenzen.
Hier einige Tipps zur psychischen und physischen Erholung:
  • Augen entspannen: Suchen Sie sich einen weiter entfernten Punkt, sodass Sie für Ihre Augen immer wieder Erholung schaffen können. Dieser Punkt sollte über oder neben dem Bildschirm liegen. Ihre Augen können akkommodieren und Sie haben kurz Zeit, nachzudenken.
  • Die 60-60-Regel: Alle 60 Minuten für 60 Sekunden bewusst etwas tun, was nichts mit der Nutzung digitaler Medien zu tun hat.
  • Die 20-20-20-Regel: Alle 20 Minuten für 20 Sekunden einen Gegenstand fixieren, der mindestens 20 Meter entfernt ist.
  • Stellen Sie sich während eines längeren Gesprächsanteils der Klient*innen stumm und atmen tief durch.
  • Trinken sie genug. Hierzu hat es sich bewährt, ein möglichst zuckerfreies Getränk neben den Bildschirm zu stellen.
  • Nehmen Sie sich zwischen den Sitzungen eine Auszeit.
  • Dehnen oder bewegen Sie sich in den Auszeiten, da die Mobilität bei der Arbeit vor dem Bildschirm reduziert wird. Bewegungen wie Tür öffnen etc. entfallen. Kurzzeitiges Hüpfen oder Hampelmänner sorgen für die Aktivierung des Kreislaufs.
  • Um zwischen den Sitzungen Kraft zu tanken, kann auch eine kurze Meditation helfen.
  • Legen Sie sich Online-Regeln fest, damit Sie gemeinsam mit den Klient*innen einen Fahrplan haben. Beispielsweise:
  • Wann schaltet man sich stumm?
  • Wie melde ich mich zu Wort?
  • Welche Reaktionen übermittle ich zur Zustimmung?
  • Welche Ansprache wird verwendet?
  • Direkte Ansprache mit Namen empfiehlt sich da die Klient*innen auf den Bildschirm meist unterschiedlich angeordnet sind – anders als in einem Sitzkreis.
  • Interaktivität und das „Wir“ betonen, da es für alle Teilnehmer*innen eine neue Erfahrung ist.
4. Die Medienkompetenz der Klient*innen erhöhen
Während des Erstkontaktes können Sie eine Vorab-Einschätzung der Medienkompetenz des Klienten erfragen. Dies hilft, den Umfang der Unterstützung einzuschätzen.
Wenn Sie sich zu einer C2C-Gruppe treffen, können Sie den Klient*innen anbieten, dass Sie 10 Minuten früher online sind, um bei technischen Problemen zu unterstützen.
Versenden Sie eine Schritt-für-Schritt Erklärung, wie sich Klient*innen einloggen können und in der die Antworten der häufigsten Fragen einfach und verständlich formuliert sind. Diese Erklärung erhalten Sie meistens auch über Ihren Videodienst-Anbieter.
Wichtig ist im Vorfeld bereits zu verstehen, wie die Medienkompetenz Ihrer Klient*innen ist. Hier helfen die folgenden Fragen:
Hat der/die Klient*in…
  • ...ein internetfähiges Gerät mit ausreichend Bandbreite?
  • ...schon eine Videokonferenz selbst gestartet?
  • Falls ja, mit welcher Software?
  • ...einen ungestörten Raum?
  • ...ein privates oder berufliches Endgerät?
  • ...Unterstützung im Umfeld bei technischen Problemen?
  • Welches Endgerät benutzt der/die Klient*in (Handy, Tablet, Computer, Laptop)? Die Endgeräte übertragen Bilder unterschiedlich. Eine Gruppe ist z. B. nicht über ein Handy komplett zu sehen.
Dieser Artikel soll keine Weiterbildung ersetzen, aber eine Idee vermitteln, wie Sie den Erfolg einer C2C-Therapie aktiv positiv beeinflussen können. Gute Planung und Vorbereitung ist hierbei, wie Sie gesehen haben, das A und O. Aber wie in den meisten Situationen im Leben gilt auch wiederum, dass man es einfach ausprobieren muss.
Ein kleiner Tipp: Mit einem freundlichen Lächeln am Anfang und Schluss fällt das Ganze gar nicht so schwer. Bleiben Sie Sie selbst und versuchen Sie nicht, zu perfekt zu wirken. Sie erhöhen dadurch den Druck auf sich selber und perfekt wird das ganze einfach durch Ihre Authentizität!
Wir möchten Ihnen Mut zur Online-Therapie machen und stehen für Rückfragen zur Verfügung.
Wenn die Online-Gruppe über die Krankenversicherung abrechenbar wird, informieren wir Sie umgehend über den Newsletter von Gruppenplatz.
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